Selbstzweifel

Impostor-Syndrom: „Ich kann das doch gar nicht“

Hochstapler-Syndrom: Auch viele Ärztinnen und Ärzte leiden unter diesem Phänomen
Karin Greeck | 8.11.2024 | Lesedauer: 3 Minuten

Das Gefühl, beruflich nicht gut genug zu sein und die Angst aufzufliegen, hat einen Namen: Hochstapler- oder Impostor-Syndrom. Ein Phänomen, das viele ÄrztInnen kennen.

Das war doch nur Auswendiglernen

Wenn Angelika Serbe, die eigentlich anders heißt, das Klinikgebäude verlässt, atmet sie erleichtert durch. In ihrer letzten Schicht hat die 36-jährige Gynäkologin erfolgreich mehrere operative Eingriffe durchgeführt, Entbindungen begleitet und Patientinnen mit komplexen Fällen beraten. Die Oberarztstelle wurde ihr bereits in Aussicht gestellt. 

Doch Angelika fragt sich: ‚Wieso merkt niemand, dass ich das nicht kann?‘ Der Gedanke, sie sei nicht gut genug und sie kann nichts, begleitet sie schon lange. Spricht man sie auf ihr erfolgreiches Medizinstudium an, wertet sie es ab: ‚Das war nur Auswendiglernen, kein Können‘. Ihre Karriere und berufliche Erfolge begründet sie mit Glück und gutmütigen Vorgesetzten. Kurzum: Angelika leidet unter dem Impostor-Syndrom, auch bekannt als Hochstapler-Syndrom.

Ein Notizzettel mit dem Wort Imposter-Syndrom klebt an einem Whiteboard

Impostor-Syndrom – (k)ein weibliches Phänomen

Erstmals taucht der Begriff als „impostor phenomenon“ 1978  in der Psychologie auf. Die beiden Psychologinnen Dr. Pauline R. Clance und Suzanne A. Imes hatten Beobachtungen dargelegt, wonach vorwiegend erfolgreiche Frauen glaubten, sie würden in ihrer Intelligenz und ihren Leistungen überschätzt.

Heute weiß man: Es sind nicht nur Frauen vom Impostor-Syndrom betroffen. Allerdings korreliert das Hochstapler-Syndrom diagnostisch häufig mit Depression und Ängsten. Schaut man unter diesem Aspekt auf aktuelle Zahlen zur Prävalenz von Depression in Deutschland, liegt die Vermutung nahe, dass Frauen durchaus häufiger darunter leiden als Männer. Als offizielle Diagnose oder eigenes Krankheitsbild wird das Phänomen bislang nicht erfasst.

Ein Teufelskreis aus Selbstzweifeln

Doch was genau steckt hinter dem Phänomen? Und: Sind Selbstzweifel hin und wieder nicht normal oder sogar ‚gesund‘ – getreu dem Motto lieber ‚Under-Dog‘ als ‚Poser‘? Dr. Marcel von Rauchhaupt, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie bei doctari erklärt: „Das Hochstapler-Syndrom ist mehr als nur ‚Under-Dog‘-Denken. Es führt zu einem tiefgreifenden Zweifel an der eigenen Kompetenz, auch wenn die Fakten etwas anderes sagen.“

Das heißt, wenn ich jung bin, noch keine Berufserfahrung habe und vor dem ersten Job gewisse Selbstzweifel aufkommen, ist das sicher normal. Habe ich jedoch nach vielen erfolgreichen Jahren im Beruf plötzlich Zweifel, dass ich nichts kann, steht das Selbstbild nicht in Relation zur Wirklichkeit.
Ab hier beginnt ein Teufelskreislauf: Wer permanent das Gefühl habe, nicht gut genug zu sein, neige dazu, sich übermäßig anzustrengen und keine Pausen zuzulassen. Das wiederum könne zu Erschöpfung und letztlich zum Burn-out führen, warnt der Experte.

Als Ursache für die Denkweise wird häufig die erlernte Attribution für Leistungssituationen gesehen: Typischerweise schreiben Menschen mit Impostor-Syndrom Erfolge äußeren Umständen zu und Misserfolge sich selbst.

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Ärztinnen und Ärzte sind anfällig für das Hochstapler-Syndrom

Mit Blick auf den hohen Leistungs- und Verantwortungsdruck, dem Ärztinnen und Ärzte wie Angelika permanent ausgesetzt sind, ist es für Psychiater wie Marcel von Rauchhaupt nur nachvollziehbar, dass gerade diese Berufsgruppe häufig betroffen ist – schließlich geht es um das Leben von Menschen. „Die ständige Erwartung keine Fehler machen zu dürfen, kann das Gefühl verstärken, nicht genug zu leisten“. Hinzu komme, dass die medizinische Welt sehr kompetitiv sei und der Vergleich mit anderen Selbstzweifel zusätzlich befeuere.

Wege aus dem Impostor-Syndrom: Schwächen akzeptieren, Stärken notieren

Tiefgreifende Zweifel am eigenen Können sind auf Dauer gefährlich und können krank machen. Im ersten Schritt ist es daher wichtig, sich einzugestehen, dass man betroffen ist und offen darüber zu sprechen. Auf diesem Weg kann man sich regelmäßig Feedback von KollegInnen und Vorgesetzten holen.

Der Blick von außen kann das Selbstbild korrigieren und Erfolge wieder mehr in den Fokus rücken. Diese sollte man dann am besten in einem Erfolgstagebuch festhalten, um die Selbstwahrnehmung nachhaltig zu verbessern. Ist der Druck langfristig zu groß, empfiehlt Marcel von Rauchhaupt im zweiten Schritt ein gezieltes Coaching oder eine Supervision. Auf diese Weise können Denkmuster erkannt und mit gezielten Strategien durchbrochen werden.

Titelbild: iStock.com/FG Trade

Autor

Karin Greeck

Als freie Journalistin findet sie immer die richtigen Worte, um auch komplexe Sachverhalte verständlich darzustellen. Spezialgebiete: spannende Interviews und Reportagen.

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