Interview: Marcel von Rauchhaupt

„Wertschätzung dient der mentalen Gesundheit“

Psychiater Marcel von Rauchhaupt spricht mit uns über Wertschätzung
Sabine Stahl | 18.10.2024 | Lesedauer: 3 Minuten

In diesem Interview spricht Psychiater Dr. Marcel von Rauchhaupt über Wertschätzung und was sie für ihn und andere ÄrztInnen bedeutet.

Dr. Marcel von Rauchhaupt ist Facharzt der Erwachsenenpsychiatrie und Psychotherapie, arbeitet aber auch im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. Sein Spezialgebiet sind Traumafolgestörungen und posttraumatische Belastungsstörungen. Wir haben mit ihm über das Thema Wertschätzung gesprochen.

Was bedeutet Wertschätzung für dich?

Marcel von Rauchhaupt: Letzte Woche habe ich einen netten Brief bekommen von Eltern eines jungen Patienten von mir. Sie schrieben mir, wie zufrieden sie sind und wie dankbar. Eigentlich sind sie mit einer ganz negativen Einstellung in die Klinik gekommen. Sie hatte auch Angst, ihren Sohn dazulassen und auch er wollte eigentlich gar nicht bleiben. Wenn man dann nach der Behandlung so einen Brief bekommt, in dem drinsteht: „Sie waren so ein sympathischer, netter Kerl und Sie haben unseren Sohn so toll aufgefangen. Er wollte sogar selbst bleiben, was wir niemals gedacht hätten. Die Behandlung lief super. Wir wollten Ihnen nochmal ‚Danke‘ sagen“. Nach so einem Brief gehe ich mit einem Strahlen für den Rest des Tages durch die Arbeit. Mehr brauche ich dann gar nicht. Das ist schön.

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Wir haben das Gespräch mit Marcel von Rauchhaupt aufgezeichnet. Hier geht es zum Video!

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Bekommst du häufig so viel Wertschätzung von Patienten?

Marcel: Ich habe Patienten, die sind nicht Teil der Realität wie du und ich. Die können gar nicht Danke sagen, weil sie das Gefühl haben, du hast nichts Gutes getan. Ich habe Patienten, die wären lieber wieder krank, weil es ihnen im Erkrankungszustand ihrer Meinung nach besser ging. Das sind Momente, in denen ich denke, da bekomme ich kein ‚Dankeschön‘, da bekomme ich auch kein: ‚Haben Sie gut gemacht‘. Aber ich weiß, dass das nicht aus Boshaftigkeit kommt. Ich weiß, der Mensch ist krank, und wenn der Mensch krank ist und das nicht so wahrnehmen kann wie du oder ich, dann darf ich ihm das auch nicht vorhalten.

Fühlst du dich von KollegInnen wertgeschätzt?

Marcel: Ich glaube, im Klinikalltag ist es generell schwer, aufeinander aufzupassen. Da rede ich jetzt besonders über die Ärzteschaft. Ich glaube, dass wir alle im Stress sind und manchmal nicht so ganz auf uns achten und manchmal Worte sagen oder Sachen machen, die vielleicht nicht so gemeint waren oder die wir im Nachgang bereuen. Ich glaube, Wertschätzung auf kollegialer Ebene fehlt manchmal. Besonders die Psychiater erhalten von Kollegen nicht immer den größten Respekt, was an sich auch in Ordnung ist. Am schönsten ist es, wenn man sich auf einer Ebene trifft und sich gegenseitig bestimmte fachliche Inhalte schildern kann, wo der andere sagt: ‚Ach krass, das wusste ich gar nicht.‘

Fühlen sich Ärztinnen und Ärzte heute generell noch wirklich wertgeschätzt?

Marcel: Ich glaube, eines der wesentlichen Faktoren ist, finanziell betrachtet nicht wertgeschätzt zu werden. Wenn man Assistenzarzt in der Klinik ist und zehn Dienste im Monat macht plus die Stationsarbeit und bedenkt, was man alles geleistet hat, ist da eine massive Problematik vorhanden. Und dann bekommst du teilweise in manchen Kliniken keine Überstunden bezahlt oder gesagt: „Sie können ein bisschen extra Urlaub nehmen". Den kannst du dann aber nicht nehmen, weil Personalmangel herrscht.

Das ist ein Hamsterrad und du bist einfach nur deprimiert, überarbeitet und irgendwann machst du Fehler und dann wird es sehr gefährlich. Deswegen finde ich es wichtig, zu sagen, Wertschätzung dient der mentalen Gesundheit und wenn du mental gesund bist, dann leistest du auch adäquat gute Arbeit und dann sind die Patienten auch nicht gefährdet.

Wie könnte man deiner Meinung nach mehr Wertschätzung zeigen?

Marcel: Also ich glaube, es würde da anfangen, einfach mal mehr Dankeschön zu sagen. Es muss noch nicht mal seitens der Patientenschaft sein, weil die können Danke sagen, wenn sie das Gefühl haben, sie wurden gut behandelt, sondern seitens der Personalführung, der Chefetagen. Es ist natürlich ein Klinikalltag, es ist kein Büroalltag. Wir hetzen von Patient zu Patient, von Visite zu Visite. Natürlich ist es stressig, aber man muss auch da mal inne halten und „Danke sagen.

Lieber Marcel, vielen Dank für das Gespräch.

Autor

Sabine Stahl

Die erfahrene Journalistin und Medizin-Redakteurin arbeitet seit 2021 in der doctari-Redaktion und beschäftigt sich am liebsten mit Ratgeber- und Statistikthemen.

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