Heute nicht mehr vorstellbar: Es gab eine Zeit, in der Heroin als Hustensaft verkauft wurde.
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Mit der Erfindung der Cox-Schaukel, die auch in der Berliner Charité eingesetzt wurde, wollte der englische Nervenarzt Mason Cox Anfang des 19. Jahrhunderts Menschen mit psychischen Krankheiten helfen. Die PatientInnen saßen nach hinten geneigt auf einem Sitz und drehten sich um die eigene Achse. Man glaubte, dass das Drehen, Schwingen und Schütteln zur Beruhigung und zu besserem Schlaf beitragen würde. Stattdessen waren die Folgen vor allem Schwindel, Übelkeit und Erbrechen.
Ludwig van Beethoven starb 1827 an einer Bleivergiftung. Forscher analysierten eine Haarprobe, die dem Musiker unmittelbar nach seinem Tod abgeschnitten worden war, und fanden darin hohe Bleiwerte. Vermutet wird, dass der Komponist nach einer Lungenentzündung von seinem Arzt mit Bleisalzen behandelt wurde. Da er zudem an einer Leberzirrhose litt, verschlechterte sich sein Zustand dadurch wohl dramatisch. Bleisalze galten damals als schleimlösend. Auch Wunden wurden mit bleihaltigen Pflastern verklebt.
Der Aderlass galt seit dem Altertum bis hinein ins 19. Jahrhundert als Heilmethode für eine Vielzahl an Krankheiten von Entzündungen bis zur Pest. Man glaubte, dass Krankheiten durch eine unausgeglichene Mischung der Körpersäfte entstehen würden, die man wieder in Balance bringen könnte, indem man Blut aus dem Körper lässt. Auch Blutegel wurden dafür eingesetzt. Der hohe Blutverlust kostete jedoch viele Menschen das Leben. Auch George Washington, erster Präsident der USA, soll daran gestorben sein.
Ab dem Ende des 15. Jahrhunderts grassierte in Europa die Syphilis, die mit Geschwüren an den Genitalien und Grippesymptomen begann und schließlich Organe und Gewebe zerstörte. Als einziges Heilmittel für die Geschlechtskrankheit galt lange Zeit Quecksilber, das als Salbe oder oral verabreicht wurde. Patientinnen und Patienten starben dadurch an einer Schwermetall-Vergiftung. Heute wird Syphilis mit Antibiotika geheilt.
Im 18. Jahrhundert galt es als wirksame Methode, um Ertrunkene wiederzubeleben: Mit Hilfe von speziellen Klistieren wurde Patientinnen und Patienten Tabakrauch über den Anus in den Darm geblasen, der sie von innen wärmen und ihre Atmung anregen sollte. Die Tabak-Beatmungsgeräte bestanden aus einem Blasebalg, einem Schlauch, einer Düse und einem Behälter für den Tabak.
Nachdem die Physiker Marie und Pierre Curie 1898 das radioaktive Element Radium entdeckt hatten, galt es zunächst als vermeintliches Allheilmittel gegen alle möglichen Krankheiten: Bluthochdruck, Diabetes, Arthritis, Rheuma, Gicht, Tuberkulose und Krebs. So gab es mit Radioaktivität versetztes Wasser zum Trinken und Baden, Hautcremes, Salben, Zäpfchen und Zahnpasta mit Radium wurden in Zeitungsanzeigen beworben. Erst in den 30er-Jahren setzte sich die Erkenntnis durch, dass die Strahlung lebensgefährlich ist.
Eine der brutalsten Irrungen der Medizingeschichte war die sogenannte Lobotomie. Der Neurologe Walter J. Freeman vertrat die Annahme, dass man psychisch kranke Menschen durch eine Zerstörung einiger ihrer Gehirnstrukturen heilen könnte. 1936 führte er an der Klinik der George Washington University in den USA die erste frontale Lobotomie durch, der hunderte weitere folgten. Erst Mitte der 50er-Jahre geriet die Methode in Verruf. Der Roman „Einer flog über das Kuckucksnest“, der später mit Jack Nicolson in der Hauptrolle verfilmt wurde, thematisierte 1962 die drastischen Auswirkungen der Operation auf psychiatrische Patientinnen und Patienten, die danach oft nur noch vor sich hinvegetierten.
Der Spielfilm "Einer flog über das Kuckucksnest" thematisiert die Lobotomie und deren Folgen.
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Im Verlauf des 18. Jahrhunderts verbreitete sich die Ansicht, dass Masturbation nicht nur aus moralischen, sondern auch aus medizinischen Gründen verwerflich sei. Vor allem der körperlichen Entwicklung junger Menschen schade sie, so die Auffassung. Insbesondere der nächtliche Samenerguss wurde als hoch bedenklich eingestuft. Um ihn zu verhindern, gab es neben beruhigenden Tränken auch Zwangsjacken und Keuschheitsgürtel mit Penishüllen – teilweise sogar mit Stacheln.
Dauerbäder zur Beruhigung mussten Patientinnen und Patienten in vielen Psychiatrien des 19. Jahrhunderts über sich ergehen lassen. Wer sich wehrte, wurde an Armen und Beinen fixiert. Manche Kranke mussten tage- oder wochenlang in der Wanne bleiben, sogar darin essen und schlafen. Durch die lange Zeit im Wasser bekamen sie Ohrenentzündungen, Pilze oder Ausschläge.
Die Geschichte der Medizin ist voller Irrtümer, die uns heute unvorstellbar erscheinen. Was einst als wissenschaftlich fundiert galt, entpuppte sich im Nachhinein als grausam oder gesundheitsschädlich. Zum Glück hat der wissenschaftliche Fortschritt dazu geführt, dass wir heute auf fundiertes Wissen statt auf fragwürdige Methoden setzen und solche Irrwege der Vergangenheit angehören.
Titelbild: DALL.E
Amely Schneider
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