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Trotz der beschriebenen Zustände war ein Krankenhaus von 1820 in vieler Hinsicht ein Fortschritt zu seinem Vorgänger, dem mittelalterlichen Hospiz. Bis weit ins 18. Jahrhundert war die Krankenpflege dort nur eine Nebentätigkeit, die Armenfürsorge stand im Mittelpunkt. Eine geregelte Ausbildung von Pflegekräften gab es kaum. Das inspirierte Ärzte und vielfach auch bürgerliche Frauen, denen eine Berufsausbildung trotz höherer Bildung weitgehend verwehrt war, zu praktischen Verbesserungen in der Krankenversorgung.
Die Engländerin Florence Nightingale war eine von ihnen. Schon früh begleitete sie ihre Mutter und ihre Gouvernante auf Krankenbesuchen. Die gravierenden Mängel, die in der Versorgung von Kranken im England des frühen 19. Jahrhunderts bestanden, blieben ihr nicht verborgen.
Gegen den Widerstand ihrer Familie organisierte sie 1851 eine Hospitation in der Kaiserswerther Diakonie, einer für damalige Verhältnisse vorbildlichen Institution und eine der ersten professionellen Ausbildungsstätten für Krankenpflege in Deutschland. Dort erwarb sie Kenntnisse in Hygiene und Wundversorgung und in der Pflege Erkrankter und durfte bei Operationen assistieren: Ein erster Schritt auf dem Weg zur Reformerin des Sanitätswesens und der Krankenhausorganisation war gesetzt.
Rudolf Virchow, ein Zeitgenosse von Florence Nightingale, sah sich mit ähnlichen Problemen konfrontiert. Der 1821 geborene Begründer der Zellularpathologie – seine Erkenntnis, dass Krankheiten auf Störungen der Körperzellen beruhen, löste die bis dahin gängigen Theorien über schädliche Körpersäfte und Miasmen als Krankheitserreger ab – war auch Hygieniker. Er setzte sich für eine allgemeine Gesundheitsvorsorge ein und veranlasste die Einrichtung kommunaler Krankenhäuser in Berlin. Wie Nightingale plädierte er für eine Professionalisierung der Pflegeausbildung.
Vor allem aber war Virchow ein Verfechter der wissenschaftlichen Medizin. Diese stand Anfang des 19. Jahrhunderts in Konkurrenz zum aufkommenden Trend der „Medizin der Romantik” – einer medizinischen Denkschule, die sich an die romantische Naturphilosophie anlehnte. Gleichzeitig gab es in der Heilkunst ab 1800 einige wichtige Entwicklungen, die bis heute nicht an Bedeutung eingebüßt haben:
Beises sind seither etablierte diagnostische Basistechniken. Wissenschaftliche Erkenntnisse aus vielen unterschiedlichen Bereichen setzten sich zunehmend durch und beeinflussten die Medizin:
Sie alle revolutionierten die Heilkunst des 19. Jahrhunderts und führten sie auf den Weg zur evidenzbasierten Medizin von heute.
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Auch die Krankenpflege nahm den Weg der Wissenschaftlichkeit. Heute kann man Pflege nicht nur lernen, sondern auch studieren: Pflegemanagement und Pflegewissenschaften sind längt anerkannte akademische Ausbildungsgänge. Daran hat die Arbeit von Florence Nightingale ihren Anteil: Nach ihrer Ausbildung in der Kaiserswerther Diakonie sammelte sie weitere praktische Erfahrungen in Pariser Krankenhäusern und übernahm schon kurz darauf die Leitung eines Pflegeheimes in London. Ihre Bewährungsprobe bestand Nightingale schließlich bei der Organisation der Pflege schwer verletzter Soldaten aus dem Krim-Krieg.
Entgegen dem verklärten Bild der sich aufopfernden „Lady with the Lamp”, die sich spät abends noch persönlich nach dem Wohlergehen der ihr anvertrauten Verwundeten erkundigt, war Nightingale aber selbst nur sehr wenig in der Pflege tätig. Als wichtigste Aufgabe erschien es ihr vielmehr, organisatorisch einzugreifen: Die Verwundeten brauchten frische Luft, saubere Kleidung, geeignetes Verbandsmaterial und Medikamente, sauberes Trinkwasser und auch psychische Unterstützung.
Nach ihrer Rückkehr nach England – nun nach eigener Erkrankung körperlich eingeschränkt – begann sie, sich der wissenschaftlichen Seite der Krankenpflege zu widmen. Neben der Einrichtung einer praxisorientierten Krankenpflegeschule am St. Thomas' Hospital in London beschäftigte sie sich vor allem mit Daten, Statistiken und Epidemiologie sowie mit der Frage, wie Krankenhäuser am effektivsten zu führen seien. Im Wesentlichen ist ihr Beitrag zur Reform der Krankenpflege und der Pflegeausbildung somit ein wissenschaftlicher – auch wenn sie selbst keine akademische Ausbildung genossen hat.
Mit ihrer systematischen Datenerhebung und Dateninterpretation im Gesundheitsbereich hat sie ebenfalls Pionierarbeit geleistet: Unter anderem entwickelte sie das sogenannte „Polar-Area-Diagram”, eine Grafik zur Datenvisualisierung. Ihre umfassenden statistischen Erhebungen brachten ihr 1858 als erster Frau eine Mitgliedschaft in der „Royal Statistical Society” ein. Verdienterweise – denn ohne solche statistischen Kenntnisse wäre eine Tätigkeit als Pflegewissenschaftlerin oder Pflegemanager auch heute undenkbar.
Aufgrund ihrer lebenslangen Verdienste um die Professionalisierung der Krankenpflege begehen wir jedes Jahr an ihrem Geburtstag, dem 12. Mai, den internationalen Tag der Krankenpflege.
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