Interkulturelle Medizin

Mit Empathie und Respekt gegen Vorurteile

Hände mit verschieden farbiger Haut umfassen jeweils den Arm einer anderen Hand. In der Mitte ist ein Herz zu sehen.
doctari Redaktion | 24.11.2022 | Lesedauer: 4 Minuten

Bei der Behandlung von PatientInnen erschweren manchmal nicht nur Sprachbarrieren die Verständigung, sondern auch kulturelle Unterschiede.

Der menschliche Körperbau unterscheidet nicht nach Herkunft. Dennoch stoßen MedizinerInnen bei Menschen aus anderen Kulturen auf Herausforderungen bei der Behandlung. Denn eine andere Kultur bedeutet mitunter auch ein anderes Verständnis von Gesundheit oder Schmerz. Angesichts von mehr als 22 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund sowie wachsendem Medizintourismus nach Deutschland gewinnt die interkulturelle Medizin stetig an Bedeutung.

Was ist Interkulturelle Medizin?

Mit dem Begriff interkulturelle Medizin ist gemeint, dass ÄrztInnen aber auch Pflegefachkräfte in ihre Arbeit neben den rein medizinischen Aspekten auch die Kultur der PatientInnen bzw. dessen Angehörigen mit einbeziehen müssen. Das gilt nicht nur für Personen aus anderen Ländern oder für solche mit Migrationshintergrund. 

Interkulturelle Medizin kann auch Menschen mit anderen strukturellen, sozialen oder wirtschaftlichen Hintergründen meinen. So kann es zum Beispiel bei einem Allgemeinmediziner aus einer sehr ländlichen Region nach einem Wechsel in die Großstadt (oder umgekehrt) zu kulturellen Missverständnissen kommen.

Fünf medizinische Fachkräfte, alle weiblich, mit verschiedener Hautfarbe.

Bei interkultureller Medizin kommt es vor allem auf Respekt, Offenheit und gute Kommunikation an.

Wieso ist interkulturelle Kompetenz so wichtig?

Für eine erfolgreiche Behandlung ist das Arzt-Patienten-Gespräch von hoher Bedeutung. Hier werden wichtige Informationen zu den Beschwerden, zu möglichen Ursachen, nötigen Untersuchungen sowie zur Diagnose und der daraus resultierenden Behandlung ausgetauscht. Allein schon sprachliche Barrieren können hier eine zielorientierte und schnelle Behandlung erschweren.

Doch bei PatientInnen aus anderen Kulturen müssen neben Sprachproblemen weitere Aspekte bedacht werden, wie abweichende Normen, Werte und Vorstellungen. Unterscheiden sich diese grundlegend von denen der Ärztin oder des Arztes, kann das zu Missverständnissen führen, was wiederum die Diagnose und die Behandlung beeinflussen kann.

So kann etwa die Schilderung der Symptome von Kultur zu Kultur sehr unterschiedlich ausfallen. Auch Schamgefühle unterscheiden sich mitunter sehr. Das Gleiche gilt für die Akzeptanz von geplanten Untersuchungen und für das Annehmen der ärztlichen Diagnose. „Wenn ich eine Krankheit als schicksalhaft oder von Gott gegeben ansehe, werde ich ein anderes Verhalten zeigen, als wenn die Krankheit mein Feind ist und ich mich zur Wehr setzen möchte“, erklärt Professor Dominik Groß in einem Interview mit „ZMK-aktuell“.

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Einen Leitfaden für Interkulturelle Medizin gibt es nicht

Doch wie genau sollen ÄrztInnen darauf reagieren, wenn bei einer Krebsdiagnose eines Jugendlichen mit türkischen Wurzeln die Eltern darauf bestehen, ihr Kind nicht aufzuklären, weil es im Sinne ihrer Tradition ist? Wie reagiert eine Ärztin am besten, wenn die ganze Familie mit ins Sprechzimmer möchte?

Einen allgemeingültigen Leitfaden für die Behandlung von Patientinnen und Patienten aus anderen Kulturkreisen gibt es nicht, genauso wenig wie für die Behandlung von deutschen PatientInnen. Wichtig ist, dass sich das medizinische Personal der Unterschiede bewusst ist und entsprechend vorbereitet und vor allem vorurteilsfrei in ein interkulturelles Gespräch geht.

Ein Stethoskop und ein rotes Herz liegen auf einem Tisch.

Empathie ist in jedem Gespräch zwischen PatientIn und medizinischem Fachpersonal wichtig

Einfühlungsvermögen als Brückenschlag

Bei einem interkulturellen Arzt-Patienten-Gespräch kommt es in erster Linie auf ein gutes Einfühlungsvermögen seitens des medizinischen Personals an. Tipp: Stellen Sie die richtigen Fragen, hören Sie zu und versuchen Sie ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.

Wichtig ist außerdem, dass beide Parteien ihre Sichtweise darstellen können. Häufig sind Ängste der Grund für die Ablehnung einer Behandlung. Diese können jedoch oft mit den dazugehörigen Informationen aus dem Weg geräumt werden. Generell sind die richtigen Fragen seitens der behandelnden ÄrztInnen wichtig. Gibt es religiöse Vorbehalte? Besondere Bedenken? Was muss während des Ramadans beachtet werden? Sollen Angehörige um Rat gefragt werden? All dies hilft beim Aufbau eines Vertrauensverhältnisses oder, wie Groß es nennt, eines Therapie-Bündnisses.

Als Arzt die eigene Kultur kennen

In manchen Fällen müssen ÄrztInnen die andere Kultur und die möglicherweise abweichende Einstellung schlichtweg akzeptieren. Das kann zum Beispiel bei dem oben genannten Beispiel passieren, wenn ein Jugendlicher nicht über eine faustische Krebsdiagnose informiert werden soll, da die Eltern bei einer unangemessenen, harten Aufklärung ein Trauma befürchten. In so einem Fall kann die Diskrepanz der unterschiedlichen Kulturen unüberbrückbar sein. Auch dieses Wissen und die Akzeptanz dessen zählt zur interkulturellen Medizin.

Zur Interkulturellen Medizin gehört auch, sich mit der eigenen Kultur auseinandersetzen und deren Besonderheiten zu kennen. In Deutschland bleibt den meisten ÄrztInnen wenig Zeit für ein Gespräch. Die Informationen werden rasch und oft sehr direkt übermittelt. Das kann Menschen aus anderen Kulturen sehr barsch erscheinen.

Interkulturelle Medizin während des Studiums

Im Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog für Medizin (NKLM) steht, dass sich Medizinstudierende in der Ausbildung mit interkultureller Kompetenz auseinandersetzen sollen. Nach Angaben des Deutschen Ärzteblattes berücksichtigen einige medizinische Fakultäten die Lernziele in der Ausbildung bereits. Doch das ist zu wenig. Experten wünschen sich eine kontinuierliches Fort- und Weiterbildungsangebot für ÄrztInnen über die jeweiligen Ärztekammern.

Titelbild: iStock.com/Athiyada

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