Mode

Vom Gehrock zum Kasack: Eine kurze Geschichte der Arztkleidung

Ein Gemälde von Thomas Eakins zeigt Chirurgen im weißen Kittel
Amely Schneider | 16.10.2024 | Lesedauer: 4 Minuten

Der klassische, weiße Arztkittel kommt aus der Mode. Nicht jedem gefällt dieser Trend. Doch vor etwas mehr als 100 Jahren sahen Mediziner auch schon anders aus.

Der weiße Kittel hilft bei Orientierung und Ordnung

Weißer Kittel, weiße Hose, weiße Gesundheitsschuhe. So stellen sich immer noch die meisten Menschen den typischen Arzt oder die typische Ärztin vor. Dabei ist das heute schon längst nicht mehr die Norm. Mittlerweile ist die medizinische Kleidung vielseitiger geworden.

Neben dem klassischen weißen Kittel tragen MedizinerInnen kurzärmlige Kasacks, T-Shirts oder Polohemden. Manchmal sieht man sie auch in Fleece- und Softshell-Jacken oder -Westen. Manche sind mit institutionellen Insignien des Trägers versehen, denn Berufskleidung soll heute auch zunehmend zum Markenimage passen und eine einheitliche Corporate Identity vermitteln.

Nicht jedem gefällt dieser Wandel. Anhänger des weißen Kittels argumentieren, dass dieser für Orientierung und Ordnung im Klinikalltag sorge. ÄrztInnen seien so auf den ersten Blick als solche erkennbar. Zudem sprechen manche dem weißen Kittel eine psychologische Wirkung zu. Im allgemeinen Bewusstsein der Menschen sei er so tief mit Gesundheit, Vertrauen und Kompetenz verknüpft, dass er wie eine Art Placebo-Effekt den Heilungsprozess beschleunige. 

Ein Team aus Ärztinnen und Ärzten im weißen Kittel, im blaue, grünen und rosa Kasack

Weißer Kittel? Heutzutage können Ärztinnen und Ärzte auch andere, buntere Kleidung tragen

Schwarz für angesehene Respektspersonen

Dabei reicht die Tradition des Weißkittels gar nicht so weit zurück. Seine Geschichte ist kürzer als viele annehmen. Lange Zeit trugen Ärzte einfach die Kleidung ihrer Epoche. Mediziner in Weiß tauchten erstmals um das Jahr 1900 auf. Bis ins späte 19. Jahrhundert waren sie sogar häufig in Schwarz gekleidet. Sowohl in ihrer eigenen Praxis als auch in Krankenhäusern trugen sie die für ihre Zeit typischen knielangen Gehröcke, darunter eine lange Hose. Am liebsten wählten sie dabei Schwarz, denn diese galt als Farbe der Würdenträger und unterstrich den Rang des Arztes als hoch angesehene Respektsperson.

Den Wandel der Kleidung kann man auch in Kunstwerken nachvollziehen. Thomas Eakins' Gemälde „The Gross Clinic“ von 1875 zeigt einen Chirurgen und seine Assistenten – alle schwarz gekleidet – bei einer Operation im Amphitheater des Jefferson Medical College. Vierzehn Jahre später sieht man auf dem Bild „The Agnew Clinic“ desselben Malers wieder Chirurgen und Assistenten – diesmal in Weiß.

Vom Pestdoktor zu Trägern moderner Schutzkleidung

Eine besonders außergewöhnliche Kleidung trugen im 14. Jahrhundert die Pestärzte in Frankreich und Italien. Mit ihren schwarzen, weiten Kapuzenmänteln, Handschuhen, Stiefeln und einer gruselig anmutenden Schnabelmaske mit Augenöffnungen aus Glas erinnerten sie an Riesenkrähen.

Die Kleidung bestand aus Leder, das mit Wachs beschichtet war, um gegen die Körpersäfte der PatientInnen zu schützen. In das Nasenfutteral konnte man Kräuter oder Gewürze einlegen. Wacholder, Ambra, Zitronenmelisse, Minze, Kampfer, Gewürznelken, Myrrhe, Rosen oder Harze sollten desinfizierend wirken und schädliche Ausdünstungen der Kranken unwirksam machen. 

Weiß blendete Chirurgen im Operations-Saal

Mit der Entdeckung der Bedeutung von Hygiene im 19. Jahrhundert begannen Ärzte andere Kleidung zu tragen. Man fand heraus, dass Bakterien und andere Krankheitserreger durch große Hitze abgetötet werden können. Da man damals anders als heute nur weiße Kleidung bei 95 Grad waschen konnte, trugen sie fortan weiße Kittel. Auch Verunreinigungen ließen sich darauf schnell entdecken. In einer Zeit, in der Infektionen oft tödlich waren, wurde der weiße Kittel zu einem Symbol für Sauberkeit und Sicherheit.

Chirurgen empfanden die helle Bekleidung im grellen Licht der Operationssäle jedoch störend und für ihre Augen zu ermüdend. Sie wechselten daher zu dem heute üblichen Grün oder Blau als OP-Kleidung. Die Einführung von Gummihandschuhen durch William Halsted 1889 und die Verwendung von Masken während Operationen markierten den Beginn der modernen Schutzausrüstung.

Wie wirkt die Kleidung von Ärzten auf Patienten?

Einst gehörte der weiße Kittel zum Arztberuf wie das Stethoskop um den Hals. Heute ist erwiesen: Auch andere Farben können vertrauenswürdig wirken.

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Strenge Kleidungsvorschriften während der Pandemie

Nicht zuletzt die COVID-19-Pandemie hat die Bedeutung der persönlichen Schutzausrüstung (PSA) weiter in den Vordergrund gerückt. In vielen Situationen ist das Tragen von Masken, Schutzbrillen und Handschuhen unerlässlich, um die Verbreitung von Infektionen zu verhindern.

Während der COVID-19-Pandemie wurde auch der breiten Öffentlichkeit bewusst, was Kleidervorschriften um der Hygiene willen für MedizinerInnen bedeuten können. Für die erweiterte PSA mussten sie sich an genaue Maßregeln halten, in welcher Reihenfolge sie die einzelnen Kleidungsstücke in einer Schleuse wieder ausziehen müssen: zuerst die Bauchbändchen des Kittels lösen, dann die mit verlängerten Stulpen versehenen Handschuhe abstreifen, den Kittel ausziehen, indem man nur die zuvor abgedeckten Bündchen an den Handgelenken berührt und schließlich Schutzbrille, Visier, Kopfhaube und FFP2-Maske ablegen. Am Ende gleich alles in den Müllsack stopfen und Hände desinfizieren. 

Ist der weiße Kittel eine Bakterienschleuder?

Heute ist die medizinische Kleidung noch funktionaler geworden, mit klarem Fokus auf Schutz und Hygiene. Als im Jahr 2016 die Asklepios-Kliniken entschieden, den klassischen weißen Arztkittel in ihren Krankenhäusern zugunsten von kurzärmligen Kasacks ganz abzuschaffen, sorgte das für Aufsehen. Als ausschlaggebend für den Schritt wurden vor allem hygienische Gründe genannt. Auf den langärmligen Kitteln wurden immer wieder Krankenhauskeime gefunden, sodass man befürchtete, dass diese möglicherweise über die Kleidung zu PatientInnen weitergetragen werden könnten – vor allem dann, wenn ÄrztInnen ihre Kittel selten wechseln. Aus demselben Grund sind auch in Krankenhäusern in den Niederlanden und Großbritannien langärmelige Kittel schon länger verboten.

Menschen, die unter dem Phänomen der „Weißkittel-Hypertonie“ leiden, dürfte dieser Trend gefallen. Ob ihr höherer Blutdruck jedoch tatsächlich nur mit dem bisher arzttypischen weißen Kleidungsstück zusammenhing, wird sich dann noch zeigen.  

Titelbild: picture alliance / Photo12 | Ann Ronan Picture Library

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Amely Schneider

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