Interview

Zwischen Life-Coach-Praxis und Intensivstation

Intensivkrankenschwester Michaela lächelt in die Kamera
Juliane Beckmann | 15.10.2023 | Lesedauer: 9 Minuten

Zeitarbeit, um die eigene Selbstständigkeit zu verwirklichen: So nutzt Intensivpflegerin Michaela Weber die Freiheit, die flexible Vertretungseinsätze bieten.

Wir unterhalten uns in unregelmäßigen Abständen mit Menschen, die für doctari in der Arbeitnehmerüberlassung tätig sind, weil da immer spannende Geschichten herauskommen. Mal schriftlich, mal persönlich, aber immer ehrlich. Heute kommt Intensivpflegerin Michaela Weber zu Wort.

doctari: Stell dich bitte einmal kurz vor und sag uns, wer du bist und was du machst.

Okay. Ich bin Michaela, ich bin 33 Jahre alt und arbeite als fachweitergebildete Intensivkraft. Ich komme aus dem wunderschönen Bayern und ich habe mehrere Jobs. Ich bin einmal in der Zeitarbeit bei doctari angestellt, jetzt seit mehr als einem Jahr. Und ich bin nebenbei selbstständig als Life Coach für emotionale Gesundheit.

Bei doctari arbeite ich im Schnitt 30 Stunden in der Woche, je nachdem wie mein Dienstplan ist. Und bei meiner Life-Coach-Praxis schaue ich immer, dass ich so bei maximal 15 bis 20 Stunden in der Woche bin. Ich habe gelernt, dass ich da ein gutes Gleichgewicht für mich brauche, sonst funktioniert es für mich nicht.

doctari: Okay. Wenn du deinen Beruf mit einem Satz beschreiben würdest, wie würde der lauten?

Für Menschen von Menschen.

doctari: Was ist das Schönste an deinen beiden Berufen?

Das Schönste ist, dass ich mit Menschen arbeiten kann und vor allem was Menschliches zurückbekomme, dass sie einem so viel Dankbarkeit und Wertschätzung zurückgeben in beiden Berufen – unabhängig von dem ganzen Gesundheitssystem, das dahinter hängt und von diesen Störfaktoren, die einfach da sind.

Michaela steht vor ihrer Praxis und lächelt

In ihrer Life-Coach-Praxis spricht Michaela mit den verschiedensten Menschen

doctari: Was sind das für Menschen, die du als Life Coach triffst?

Es sind vor allem Menschen, die in einem Hamsterrad des Funktionierens gefangen sind, die in dieser Leistungsgesellschaft vergessen haben, auf sich zu hören und gar nicht mehr so richtig wissen: Mache ich das eigentlich, weil ich muss oder weil ich es will? Und was will ich eigentlich? Meistens wird einem das erst bewusst, wenn man einen großen Schmerzpunkt im Leben hat. Dann geht es nicht mehr, körperlich oder psychisch. Vorher sind wir selten bereit, uns zu verändern. Und dann arbeite ich mit ihnen an ihren Einstellungen, an ihren Überzeugungen, schaue, dass sie rausfinden: Wo will ich eigentlich hin im Leben und wer bin ich?

doctari: Wie sieht diese Arbeit aus? Sind das vor allem Gespräche?

Ja, mehr oder weniger. Ich arbeite nach bestimmten Methoden, die ich während meiner Ausbildung gelernt habe. Ich habe Gesundheitspsychologie studiert, berufsbegleitend vor ein paar Jahren, und habe eine Coaching-Ausbildung gemacht. Ich bin auch jetzt gerade wieder in der Coaching-Ausbildung und bilde mich da ständig weiter. Ja, man spricht sehr viel. Ich höre sehr viel zu. Ich stelle viele Fragen. Aber vor allem gebe ich auch viele Tools an die Hand zum Ausprobieren, zum Üben, zum Reflektieren. Und mein Kernstück ist eine Methode, mit der man ganz viel mit Emotionen arbeitet. Wie fühle ich mich eigentlich? Wo kommt es her? Und warum gerate ich in meinem Leben immer wieder in die oder die Situation? Was hat das mit mir zu tun? Ich finde, das Herzstück eines Coachings ist, dass es bewertungsfrei ist. Es geht nicht darum, dass jeder das Leben führt, so wie ich es führe, sondern dass jeder für sich herausfinden darf, was er will und gleichzeitig einen Raum hat, wo er einfach mal so sein kann wie er ist.

doctari: Geht das in einem Termin oder dauert das länger?

Angenommen, du gehst ins Fitnessstudio und du trainierst jetzt seit fünf Jahren nur deinen rechten Arm. Und jetzt gehst du einmal ins Fitnessstudio und trainierst den linken Arm. Da wirst du nicht direkt den gleichen Muskelaufbau haben wie auf der anderen Seite. Das lässt sich auf einen neuen Gedanken, die neue Angewohnheit, übertragen. Wir erwarten das aber manchmal. Die Coaching-Session ist der Anfang, das Neue muss sich verfestigen. Ich habe das selbst schon erlebt, ein Mentoring zu haben, jemand zu haben, wo ich sagen kann: „Du, jetzt kommt es schon wieder. Ich komme damit jetzt gerade nicht zurecht. Was hast du noch für einen Tipp oder wie können wir das lösen?“ Und deswegen habe ich die besten Erfolge für mich und auch für meine Kunden, wenn wir mehrere Monate zusammenarbeiten. 

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doctari: Was ist bei deiner Arbeit besonders bewegend?

Wenn Menschen erkennen, dass sie jahrelang viel zu hart zu sich waren und weinen, weil sie sagen: „Das ist Wahnsinn, was habe ich denn mit mir machen lassen?“ Oder: „Mir war gar nicht bewusst, dass das in meiner Kindheit schon den Ursprung hatte.“ Man entwickelt ein Muster, um mit schwierigen Situationen klarzukommen. Aber ab irgendeinem Punkt funktioniert es dann vielleicht nicht mehr, weil es mir jetzt nicht mehr gut tut, wie ich reagiere.

Und wenn Menschen dann erkennen, dass sie das lösen können, indem sie sich das bewusst machen, ist das der erste Schritt. Der zweite Schritt ist die Frage „Okay, was will ich? Und was ist der nächste Step?“ Dann folgen viele kleine Schritte auf dem Weg zum Ziel. Und das ist so schön zu sehen, wenn so eine Erkenntnis kommt.

doctari: Hast du die Erfahrung gemacht, dass besonders Pflegekräfte Schwierigkeiten damit haben, abends abzuschalten?

Viele haben ein Problem, abzuschalten. Also ich kenne das auch aus Gesprächen auf Station, dass es schwer ist, den Tag hinter sich zu lassen und dass das Abschalten nach dem Dienst ein Thema ist. Weil manchmal vielleicht auch der Verarbeitungsspielraum fehlt oder uns manchmal auch gar nicht mal klar ist, dass es nicht normal ist, permanent mit Extremsituationen konfrontiert zu sein. Nur weil wir es jeden Tag erleben, ist es für unser Nervensystem nicht normal, ständig in diesem Aktivitätsmodus zu sein, in diesem „Ich muss reagieren“.

Gestresst wirkende Krankenschwester stützt ihren Kopf auf ihre Hände.

Abschalten nach einem aufreibenden Dienst kann sehr schwer fallen

"Es ist total schön, dass ich durch die besseren Konditionen auch selbstständig sein kann. Ohne das würde es nicht gehen. Das ist eine ganz große Chance für Menschen, die sich verändern möchten. "

doctari: Warum bist du in die Zeitarbeit gewechselt?

Ich hatte vor ein paar Jahren so eine Situation, wo ich fast einen Burnout hatte. Ich habe sehr viel gearbeitet, lieber zu viel als zu wenig, und habe da so gar nicht auf mich gehört. Ich habe viele Weiterbildungen gemacht, viel investiert, viel Zeit, viel Energie und habe dann gemerkt: Also wenn ich jetzt nicht tue, was mir mein Umfeld und mein Körper schon lange sagen, dann kann ich auf lange Sicht gar nicht mehr arbeiten. Dann habe ich gekündigt und habe für ein Jahr in einer WG für beatmete Menschen gearbeitet, wo ich einfach ein anderes Stresslevel hatte.

Mit Corona dachte ich mir, sinniger ist meine Arbeitskraft schon in einem großen Umfeld, wo ich auch meine Expertise einbringen kann. Ich bin dann zurück in eine Klinik, habe bessere Konditionen für mich ausgehandelt, aber war ziemlich schnell wieder an dem gleichen Punkt, an dem ich dachte, ich sehe schon wieder keinen Ausweg. Und dann kam die Option Zeitarbeit auf.

doctari: Dann kamst du zu uns. Was hat dich überzeugt?

Was mich total abgeholt hat, war, dass ich mir das System erst mal anschauen konnte. Es gibt eine App bei doctari, da kann man sich mit einer E-Mail-Adresse anmelden und kann für seine Funktion sehen, was gibt es für Stellen und wo. Mir war immer wichtig, nicht in ganz Deutschland zu arbeiten. Ich habe Familie und ein Haus. Ich möchte nicht so weit weg sein – aber ich brauchte mehr Freiheit.

Ich habe bei doctari gesehen: Ah, so kann man auch arbeiten. Es ist kein reines Profitgeschäft, es geht sehr viel um die Menschen, die hier arbeiten. Sobald ich mich melde, bekomme ich immer eine Antwort, egal was es ist. Es wird immer auf meine Wünsche eingegangen. Es ist extrem viel Wertschätzung da. Was, wie ich finde, in einem großen Haus oder auch in der Maschinerie des Gesundheitssystems einfach oft fehlt. Und es ist total schön, dass ich durch die besseren Konditionen auch selbstständig sein kann. Ohne das würde es nicht gehen. Also das ist eine ganz große Chance für Menschen, die sich verändern möchten. Und gleichzeitig darf ich mich ausprobieren und mich immer wieder neu entscheiden, ob dieses Modell gerade zu mir und meinem Leben passt.

Bild einer Intensivstation. Im Hintergrund zwei Intensivflegerinnen am Krankenbett

Michaela arbeitet auf Intensivstationen, hier können Zeitarbeitende ihre hohe Expertise gut einbringen

doctari: Wie meinst du das?

Man darf sich ja neu entscheiden. Ich kann jetzt auch in fünf Jahren sagen, ok, ich brauche wieder ein anderes Setting. Aber diese Möglichkeit, sich mal auszuprobieren … hätte ich das gewusst, hätte ich das schon fünf Jahre früher gemacht! Ich ärgere mich heute schon ein bisschen, dass ich es nicht viel früher ausprobiert habe, weil es echt toll ist. 

doctari: Wie viel Erfahrung wäre aus deiner Sicht hilfreich für Zeitarbeitsneulinge?

Ich kann nicht empfehlen, das gleich nach ein oder zwei Berufsanfangsjahren zu machen. Das ist hart. Man muss eine gewisse Grundexpertise haben und sich sicher fühlen, in dem, was man tut. Denn die Einarbeitungszeit ist kurz und man muss schnell verstehen, wie die Station arbeitet. Es geht ja nicht, wenn ich drei Monate in der Klinik bin, dass ich dann sechs Wochen Einarbeitung bekommen. Deswegen würde ich sagen, dass man schon mindestens fünf Jahre gearbeitet haben sollte, bevor man in eine Fachabteilung geht, wie eine Intensivstation oder in einen OP, damit man auch für die Patienten gut sorgen kann.

"Die Zeitarbeit ist eine gute Möglichkeit, herauszufinden: „Wie ist denn mein Spielraum?“ "

doctari: Wie sind deine persönlichen Erfahrungen im Einsatz?

Die Mitarbeitenden haben schnell gemerkt, dass ich zwar aus der Zeitarbeit komme, aber ganz normal bin und gute Arbeit leiste. Und deswegen haben sie sich auch für mich entschieden. Das ist vielleicht auch noch wichtig zu verstehen: Nicht nur ich entscheide mich für die Klinik, sondern die Klinik entscheidet sich auch für mich. Die haben mich dann erst für ein, zwei und drei Monate angefragt und dann für das ganze Jahr. Auch daran erkennt man dann, ob die Zusammenarbeit passt.

doctari: Was würdest du sagen, welche Vorteile hat die Zeitarbeit?

Ich verdiene besser. Ich kann meinen Dienstplan freier gestalten. Ich könnte ja auch Schichten ausklammern. Ich habe mehr Zeit für mein Leben. Weil ich für die gleichen Konditionen weniger arbeiten muss, wenn ich das möchte, und dadurch einfach mehr Zeit habe für andere Dinge. Ich mache das ja vor allem, um mein Leben zu finanzieren und im Idealfall mit etwas, was mir richtig Spaß macht, was meinen Werten entspricht. Und welche Vorteile hat es noch? Ich bin ungebunden und ich habe kurze Besprechungswege. Das muss nicht durch die ganze Maschinerie laufen. Ich habe ein oder zwei Ansprechpartner und die kümmern sich für mich – und ich bin dadurch in einer sehr komfortablen Situation.

doctari: Welche Tipps hast du für Menschen, die neu ins Zeitarbeitsbusiness einsteigen oder die überlegen einzusteigen?

Sie müssen offen sein. Und ein bisschen dickes Fell braucht man manchmal. Einfach mutig sein und es ausprobieren. Die Zeitarbeit ist eine gute Möglichkeit, herauszufinden: „Wie ist denn mein Spielraum?“ Man darf sich das erlauben und man darf Möglichkeiten für sich schaffen. Und vielleicht ist die Zeitarbeit genau die eine Möglichkeit, zu sagen: „Hey, ich will Betrag X, um meine Fixkosten zu decken und mit der anderen Zeit bilde ich mich fort, damit ich genau das machen kann, was mich mehr erfüllt. Bilde ich mich weiter aus oder, was weiß ich, arbeite ich ein halbes Jahr durch und lebe dann ein halbes Jahr auf Bali. Und da muss ich mir selbst zuhören und einfach lernen, was ich will. Es ist ein cooler Job und jeder darf das für sich selbst entscheiden, wann es genug ist.

Liebe Michaela, vielen Dank für das Gespräch!

Autor

Juliane Beckmann

Online-Redakteurin mit viel Erfahrung und seit 2019 Teil der doctari-Redaktion. Lernt gern dazu, mag Bindestriche und macht die Texte rund.

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