Verwandte behandeln

Wenn Freunde und Angehörige zu Patienten werden

Zwei Erwachsene und sechs Kinder halten sich an den Händen und laufen am Strand entlang.
Karin Greeck | 3.8.2023 | Lesedauer: 5 Minuten

„Du bist doch Arzt“! Als MedizinerIn wird man auch im persönlichen Umfeld oft um Rat gefragt. Vor der Behandlung nahestehender Personen sollte man jedoch einiges beachten.

Tatjana F. ist Orthopädin. Oft wird sie privat angesprochen und um Hilfe gebeten. „Kannst du mal schnell auf meinen Rücken schauen...“, „Mir tut seit Tagen die Hüfte weh, was meinst du...“. Auf einer Familienfeier bittet ihre Tante sie darum, ihr Knie zu untersuchen. Die Ärztin verspricht einen baldigen Termin. Gleichzeitig überlegt sie, ob es nicht sinnvoller wäre, an einen Kollegen zu verweisen.

Situationen wie diese kennen die meisten Ärztinnen und Ärzte. Immer wieder suchen Freunde, Bekannte und Angehörige Rat oder erfragen eine Behandlung. Aber wie verhält man sich, wenn aus einer persönlichen Verbindung ein Arzt-Patienten-Verhältnis wird? Was ist zu beachten? Wie ist die Rechts- und Versicherungslage im Behandlungsfall? Ein Blick auf die ärztlichen Ethikrichtlinien und Berufsordnungen in Deutschland zeigt: Transparenz und Distanz sind wichtig. Einen festen Leitfaden für die Behandlung Nahestehender gibt es allerdings nicht.

Ist die Behandlung von Angehörigen oder Freunden erlaubt?

Grundsätzlich ist es Ärztinnen und Ärzten erlaubt, Angehörige zu behandeln. Zumindest gibt es kein Gesetz, das dagegenspricht. Allerdings gibt es ethische Einwände, die eventuell gegen eine Behandlung nahestehender Personen sprechen. Hier sollte sich jede Ärztin oder jeder Arzt selbst fragen, ob eine objektive und unvoreingenommene Behandlung aufgrund persönlicher Beziehungen möglich ist. Denn ärztliche Ethikrichtlinien und Berufsordnungen in Deutschland empfehlen, eine angemessene Distanz zu wahren, wenn es um medizinische Behandlungen geht. Ferner sollten Ärztinnen und Ärzte sicherstellen, dass die Behandlung objektiv und im besten Interesse der PatientInnen erfolgt.

Wie wirkt sich die „Verwandtenklausel“ aus?

Ärztinnen und Ärzte können nahen Verwandten (Ehegatten, Eltern oder Kindern) – jedoch nicht Bekannten – das Honorar für eine Behandlung ganz oder teilweise erlassen. Eine entsprechende „Verwandtenklausel“ in der Krankheitskostenversicherung hat der Bundesgerichtshof 2001 für zulässig erachtet. Aber: Das Klinikequipment darf ohne Absprache mit dem Klinikträger oder Arbeitgeber dafür nicht genutzt werden. Zudem können steuerliche Folgen entstehen: So hat der Bundesfinanzhof bereits 1975 entschieden, dass ein Steuerpflichtiger, der seinen Gewinn nach § 4 III EStG ermittelt und einem Schuldner aus privaten Gründen eine Honorarforderung erlässt, diesen Vorgang als Entnahme der Honorarforderung werten muss. Hier ist es ratsam, sich vorab steuerlichen Rat einzuholen.

Zwei Hände schützen ein Herz vor dem ein Scherenschnitt einer Familie zu sehen ist.

Darf und sollten ÄrztInnen die eigene Familie behandeln? Bei dieser Frage gehen die Meinungen auseinadner.

Angehörige behandeln: Pro und Contra

Während in den USA die AMA (Amarican Medical Association) eindeutig von der Behandlung Angehöriger abrät und sich die meisten Medizinerinnen und Mediziner auch daran halten, gehen in Deutschland die Meinungen zu diesem Thema auseinander. Eine Leserumfrage des Deutschen Ärzteblatts aus dem Jahr 2015 sowie eine Umfrage des Berufsverbands der Deutschen Chirurgie e.V. (BDC, 2017) spiegeln wichtige Pro- und Contra-Argumente wider.  

Zu den Pros für das Behandeln von Verwandten gehört:

  • Nur das Beste & maximale Kompetenz: Natürlich gibt man für die Familie und enge Freunde immer ein bisschen mehr. Das spricht für eine Behandlung von Angehörigen, da Ärztinnen und Ärzte hier vermutlich akribischer und sensibler vorgehen würden als gewohnt.
  • Es gehört dazu: Gerade im ländlichen Bereich müssen sich Ärztinnen und Ärzte dieser Herausforderung ohnehin stellen. Die gelernte Professionalität sollte eine Behandlung möglich machen – unabhängig vom Verhältnis der Personen zueinander.
  • Kurze Wege und wenig Bürokratie: Man kann seinen Angehörigen und Freunden Wege sparen und gleichzeitig das Gesundheitssystem entlasten.
  • Beziehungen stärken: Tatsächlich ergab die BDC-Umfrage als Vorteil „dass bei knapp 9 Prozent der Befragten die Beziehung zum Patienten hinterher noch besser war als zuvor.” Die gemeinsame Erfahrung und der gemeinsame Weg durch eine Leidensphase kann zusammenschweißen.
  • Vertrauen: Nicht zuletzt ist es eine Frage des Selbstvertrauens und des Vertrauens der Angehörigen, sich dieser Situation zu stellen. Insofern kann auch das Vertrauen in die eigene Arbeit gestärkt werden.

Zu den Contras gegen das Behandeln von Verwandten gehört:

  • Intimität: Es ist gewiss auch eine Frage der Fachrichtung. Gewisse Behandlungen erfordern eine große Intimität und tangieren äußerst sensible Bereiche. Hier müssen sich Ärztinnen und Ärzte bewusst machen, ob sie das möchten oder gegebenenfalls eine Grenze überschreiten.
  • Emotionale Belastung: Es ist das eine, fremde Personen leiden oder gar sterben zu sehen. Geht es jedoch um die eigenen Eltern oder Kinder, tritt an die Stelle der nötigen professionellen Distanz eine emotionale Befangenheit, die zu Fehlentscheidungen führen kann.
  • Schuldgefühle: Bestimmte Entscheidungen können bei den Betroffenen zu enormen Schuldgefühlen führen und schließlich auch zum Bruch der Beziehung.
  • Rollen und Akzeptanz: Jeder kennt das Gefühl, familiär in einer bestimmten Rolle zu stecken. So beschreiben in der Umfrage des BDC ChirurgInnen die Behandlung der eigenen Eltern als besonders schwierig.
  • Schweigepflicht: Einen Freund oder Verwandten zu behandeln und anderen Freunden oder Verwandten nichts davon zu erzählen, ist eine Herausforderung, die Ärztinnen und Ärzte in eine schwierige Lage bringen können.
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Wie soll ich mich als Ärztin oder Arzt verhalten?

Ob man sich schließlich für oder gegen eine Behandlung im engsten Bekanntenkreis entscheidet, muss von Situation zu Situation neu entschieden werden. Hier sind einige Punkte, die bei der Entscheidung helfen können:

Tipps & Empfehlungen für das Behandeln von Freunden und Verwandten

  • Zweitmeinung einholen: Problematische Entscheidungen treffen sich am besten mit Unterstützung. So ist es unbedingt ratsam, bei schwierigen Behandlungen (oder schon vorher) eine kompetente Zweitmeinung einzuholen.
  • Dokumentation: Der private Rahmen einer medizinischen Versorgung entbindet keineswegs von der Dokumentationspflicht. Erst recht die Behandlung Angehöriger sollte gründlich dokumentiert werden, um die eigene Objektivität nachvollziehbar zu machen.
  • Professioneller Rahmen: Auch wenn die Beziehung privat ist, muss die Versorgung nicht im privaten Raum stattfinden. Ein Gespräch in der Praxis macht es vielleicht leichter, Distanz zu wahren und Angehörige als Patienten zu behandeln.
  • Informieren: Ärztliche Ethikrichtlinien und Berufsordnungen der verschiedenen medizinischen Fachgesellschaften und Kammern sowie fachspezifische Foren können bei der Behandlung von Angehörigen eine nützliche Hilfe sein.  

Fazit: Die Vor- und Nachteile der Behandlung von nahestehenden Personen

Feste Leitlinien und Regeln zu dieser sensiblen Fragestellung fehlen bislang. Ebenso eine breite Diskussion des Themas. Letztlich ist aber auch jeder Anwendungsfall anders. Eine Zahn-OP und eine gynäkologische Untersuchung sind kaum vergleichbar. Zudem fällt hier auch der Grad der Verwandtschaft oder Bekanntschaft ins Gewicht. Es gilt: Solange (emotionale) Distanz, Transparenz und fachlicher Austausch gewährleistet werden können, spricht nichts gegen die medizinische Versorgung von Angehörigen und Freunden.

Titelbild: iStock.com/PeopleImages

Autor

Karin Greeck

Als freie Journalistin findet sie immer die richtigen Worte, um auch komplexe Sachverhalte verständlich darzustellen. Spezialgebiete: spannende Interviews und Reportagen.

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