Stimmungsbarometer

Ein Viertel aller ÄrztInnen denkt ans Aufhören

Junger Arzt im Kittel und mit umgelegtem Stethoskop blickt ernst in die Kamera.
Sabine Stahl | 25.8.2022 | Lesedauer: 3 Minuten

Überstunden, Bürokratie, fehlende Wertschätzung und zu wenig Zeit für PatientInnen - viel Ärztinnen und Ärzte sind frustriert und denken darüber nach, ihren Job aufzugeben.

Es geht ums System. Das deutsche Gesundheitssystem. Dieses richtet den Fokus zunehmend auf Profit –und vernachlässigt somit sowohl die PatientInnen als auch die Angestellten. Dies sehen zumindest viele Ärztinnen und Ärzte so, die an einer aktuellen Umfrage des Marburger Bundes teilgenommen haben und ein düsteres Stimmungsbild zeichnen.

Ein Viertel der mehr als 8.000 befragen ÄrztInnen gaben an, dass sie erwägen, den Arztberuf aufzugeben. Weitere 18 Prozent sind sich in dieser Hinsicht unsicher und denken demzufolge zumindest über das Aufhören nach. In Anbetracht des Fachkräftemangelns in vielen Krankenhäusern sind das alarmierende Zahlen.

Doch woran liegt es, dass in Deutschland so viele MedizinerInnen unzufrieden mit ihrem einstigen Traumberuf sind und häufig dem Gesundheitssystem die Schuld geben? Zum einen liegt es am empfundenen wirtschaftlichen Druck. „Ich habe oft den Eindruck, dass ich nur noch ein gut ausgebildeter Fließbandarbeiter bin, der in seiner "Freizeit" noch Arztbriefe schreiben muss“, formuliert es ein Befragter oder eine Befragte in der Umfrage des Marburger Bundes.

Eine andere Person begründet das Beenden des Arztberufes wie folgt: „Das System nutzt uns Ärzte aus und das lass ich nicht weiter mit mir machen“. Ein Befragter findet es „frustrierend“, dass „nicht mehr der Patient im Mittelpunkt unseres täglichen Tuns steht, sondern, dass es das Wichtigste ist, mit unserer Arbeit Gewinne zu erzielen!“

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Zahlreiche Überstunden und viel Bürokratie

Neben dem Wunsch nach einer schwächeren wirtschaftlichen Ausrichtung kommt die Unzufriedenheit der ÄrztInnen auch von der steigenden Arbeitsbelastung. Ein Viertel der Befragten gab an, dass sie mindestens drei Stunden pro Tag für die Verwaltung aufwenden müssen. Bei 32 Prozent davon sind es sogar vier Stunden oder mehr. Diese Zeit fehlt entweder bei der Behandlung für die PatientInnen oder es müssen hierfür Überstunden geleistet werden.

37 Prozent aller Befragten gaben im Rahmen der Umfrage an, dass sie 49 bis 59 Stunden pro Woche arbeiten. Bei 18 Prozent sind es 60 bis 79 Stunden. Dies führt dazu, dass die Work-Life-Balance vieler ÄrztInnen völlig aus dem Gleichgewicht gerät. „Außer Arbeit habe ich kein Leben mehr. In der arbeitsfreien Zeit bin ich so müde und kaputt und will meistens keine Menschen mehr sehen“, beschreibt einer der Umfrageteilnehmenden den eigenen Alltag.

Weitere Gründe für die schlechte Stimmung unter ÄrztInnen sind eine mangelnde Wertschätzung der ärztlichen Arbeit sowie die Sorge um die eigene Gesundheit. Gleich mehrfach sprechen Ärzte und Ärztinnen im Rahmen der Befragung davon, dass sie sich zwischen der Gesundheit der PatientInnen und der eigenen Gesundheit entscheiden müssten.

Anteil an ÄrztInnen in Teilzeit wächst

Fast ein Drittel aller Befragten arbeitet Teilzeit, die meisten 30 bis 39 Stunden und rund ein Drittel 20 bis 29 Stunden. Der Anteil entspricht einem deutlichen Anstieg gegenüber früheren Befragungen und zeigt gleichzeitig einen anhaltende Entwicklung hin zu einer geringeren Arbeitszeit. Drei Jahre vor der aktuellen Studie lag der Anteil der Teilzeit-ÄrztInnen bei 26 Prozent, im Jahr 2013 bei 15 Prozent.

Was für den Einzelnen ein großer Fortschritt bei der Verbesserung der eigenen Work-Life-Balance bedeutet, erschwert in vielen medizinischen Einrichtungen das Besetzen aller Schichten. Rund zwei Drittel der Teilnehmenden empfinden die personelle Besetzung in der eigenen Einrichtung aktuell als „schlecht“ bzw. „eher schlecht“. Nur vier Prozent beurteilten die Situation als „sehr gut“, 30 Prozent als „eher gut“.

Alternativen zum stressigen Krankenhaus-Alltag

Neben dem zunehmend beliebteren Teilzeitmodell gibt es noch weitere Möglichkeiten, die Arbeitsbedingungen als Ärztin oder Arzt zu verbessern. Alle Alternativen zum Arztberuf haben wir in einem separaten Artikel aufgelistet. Wer jedoch weiterhin im Krankenhaus tätig sein möchte, nur unter besseren Bedingungen, der sollte über eine Karriere als Vertretungsärztin bzw. Vertretungsarzt nachdenken. Auf diese Weise können die MedizinerInnen selbst entscheiden, wie viel sie arbeiten. Auch längere Auszeiten sind möglich – all das bei einer überdurchschnittlichen Bezahlung. Alle Infos zum Thema: „Honorararzt werden – Ist es das Richtige für mich?“ stehen hier.

An der Umfrage des Marburger Bundes haben insgesamt 8.464 angestellte Ärztinnen und Ärzte teilgenommen im Zeitraum vom 20. Mai bis 19. Juni 2022. Rund 90 Prozent der Befragten arbeiten in einem Akutkrankenhaus.

Titelbild: iStock.com/AaronAmat

Autor

Sabine Stahl

Die erfahrene Journalistin und Medizin-Redakteurin arbeitet seit 2021 in der doctari-Redaktion und beschäftigt sich am liebsten mit Ratgeber- und Statistikthemen.

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