Ärzte als Patienten

Wenn Ärzte krank werden: Selbstbehandlung oder Besserbehandlung?

Zwei Ärzte blicken gemeinsam auf einen Computerbildschirm.
Karin Greeck | 29.2.2024 | Lesedauer: 4 Minuten

Was tun ÄrztInnen, wenn Sie krank werden? Suchen sie ärztlichen Rat? Und sind sie schlechtere PatientInnen? Über Zeitmangel und Erwartungshaltungen im Klinik- und Praxisalltag.

Das Klischee, Ärzte seien selbst schlechte Patienten, hält sich hartnäckig. Aber stimmt das wirklich? Gehen Ärztinnen und Ärzte nicht ohnehin selten zum Arzt aufgrund der eigenen Expertise? Und wenn doch: Ist der professionelle Austausch unter KollegInnen ein Vor- oder Nachteil? Dr. Martin Preuß*, Anästhesist und Internist an einer norddeutschen Uniklinik, bestätigt zunächst das Vorurteil: „Es stimmt, wir sind die schlechteren Patienten, weil wir mehr wissen und damit auch mehr Sorgen und Wünsche im Behandlungsfall haben.“

„Ich weiß, wann ich zum Arzt muss und wann nicht“ 

Gleichzeitig sagt der Experte, dass er seltener und vor allem später ärztlichen Rat sucht: „Ich weiß, wann ich zum Arzt muss und wann nicht“. Auch wenn beispielsweise ein Kind Fieber habe, sei Preuß selbst am besten in der Lage einzuschätzen und zu überwachen, ob und wann ein Arztbesuch nötig sei. Zudem seien ÄrztInnen mit ihrem Arztausweis jederzeit befähigt, Medikamente zu besorgen, wofür Nicht-MedizinerInnen eigens einen Arzttermin benötigen.

Auf der anderen Seite ist die hohe Wertschätzung fachspezifischer Kompetenzen auch ein Grund, weshalb Menschen in Medizinberufen gezielt Fachärzte aufsuchen. Dabei hegen sie jedoch eine besonders hohe Erwartung an die Expertise und Therapie der Kolleginnen und Kollegen. Neuere Umfrageergebnisse bestätigen: Ärztinnen und Ärzte erleben deshalb häufiger eine Sonderbehandlung.

Bei einem Mann wird ein EKG durchgeführt

Kranke ÄrztInnen gehen gerne zu bekannten KollegInnen.

Sonderbehandlung und schnelle Termine

Die internationale Gesundheitsplattform Medscape führte zwischen April und Juli 2023 eine Umfrage** unter 1.037 Ärztinnen und Ärzten in Deutschland durch. Knapp die Hälfte der Befragten glaube demnach, eine bessere Behandlung zu erhalten als Nicht-MedizinerInnen. 59 Prozent meinten, sie bekämen schneller einen Termin; 48 Prozent berichten von einer Sonderbehandlung.

Für Dr. Martin Preuß ist eine Sonderbehandlung nicht selbstverständlich, aber durchaus gerechtfertigt: „Als Angestellte oder Angestellter im Gesundheitssystem hat man eigentlich nicht das Recht krank zu sein“, so Preuß. Das führe oft dazu, dass ÄrztInnen zu spät oder gar nicht zum Arzt gehen. „Als Arzt opfert man sich selbst, traut sich nicht, hat ein schlechtes Gewissen gegenüber den Kollegen und Patienten oder möchte sich nicht die Karrierechancen verbauen, wenn man noch in der Ausbildung ist“, sagt der Mediziner.

Keine Zeit für einen Hausarzt

Eine Umfrage des Hartmannbunds aus dem Jahr 2022 stützt diese These. Demnach haben 45 Prozent der 850 befragten Assistenzärztinnen und -ärzte keinen Hausarzt. Davon gaben 60 Prozent an, sie hätten keinen, weil sie nur selten krank seien; 30 Prozent nannten „Zeitmangel, einen zu suchen“ als Grund.

50 Prozent aller Befragten bevorzugten die Selbstbehandlung und Selbstmedikation. Und 95 Prozent antworteten mit „nein“ auf die Frage, ob bei Dienstausfall langfristig geplante Konzepte existieren, um unkompliziert nachzubesetzen (z. B. durch Vertretungsärzte einer Zeitarbeitsfirma).

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Perspektivwechsel: als Patientin oder Patient im Behandlungszimmer

Wie aber ist es nun, wenn es zur gegenseitigen Behandlung unter KollegInnen kommt? „Outen“ sich die Betroffenen sofort als berufszugehörig, um eine Sonderbehandlung zu erhalten? Und: Fallen Ärztinnen und Ärzte tatsächlich negativ auf, wenn sie plötzlich auf der Patientenseite sitzen?

Aus der Medscape-Umfrage geht immerhin hervor, dass 65 Prozent der Teilnehmenden der Meinung sind, dass MedizinerInnen bestimmte Therapien eher ablehnen als medizinische Laien. Sie würden also zunächst nicht dem Rat ihrer Ärztinnen und Ärzte folgen. „Man ist als Arzt auch ein schlechter Patient, weil man selbst so viel weiß und mehr hinterfragt“, erklärt Dr. Preuß.

Manchmal muss man sich als Arzt zurückhalten

Die Medscape-Umfrageergebnisse bestätigen das: Demnach sei jeder zweite Arzt als Patient im Krankenhaus zunächst misstrauisch. 47 Prozent gaben zudem an, dass ihr medizinisches Wissen die eigenen Ängste verstärke. Über die Hälfte geht davon aus, dass sie mehr Fragen stellen als ein Laie und über 60 Prozent zweifelten nach eigenen Angaben schon einmal eine Therapieentscheidung an.

Als Notfallmediziner weiß Preuß aber auch, dass es in bestimmten Situationen ratsam ist, sich als Fachkundiger zurückzuhalten. Gerade in Notsituationen, so Preuß, hielten sich Ärztinnen und Ärzte oft an feste Abläufe und Algorithmen. Diese zu unterbrechen und zu stören, wäre fatal und würde eher zu einer Schlechterbehandlung führen.

Von Arzt zu Arzt: das Netzwerk und die Expertise nutzen

Schlussendlich ist es ganz normal, dass sich Ärztinnen und Ärzte zunächst selbst helfen, jedoch genau wissen, wann sie ihre Kolleginnen und Kollegen aufsuchen sollten. Sei es, um einen Rat außerhalb des eigenen Fachgebiets einzuholen oder die beste Adresse für eine Therapie zu finden.

Auch Zweitmeinungen oder Beurteilungen von Behandlungsvorschlägen finden Angestellte des Gesundheitssystems schneller im eigenen Umfeld. Es sei nur ratsam, sagt Preuß, das eigene Netzwerk zu nutzen, um schnell die bestmögliche Behandlung für sich und seine Angehörigen zu finden. Anders sei es in einem ohnehin sehr belasteten System für Ärztinnen und Ärzte im Moment gar nicht möglich.

Titelbild: iStock.com/gorodenkoff

Autor

Karin Greeck

Als freie Journalistin findet sie immer die richtigen Worte, um auch komplexe Sachverhalte verständlich darzustellen. Spezialgebiete: spannende Interviews und Reportagen.

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